Wie es für mich begann
Im Oktober 2015 flatterten ganz harmlos zwei Emails in meinen Posteingang: Zuerst kam eine Anfrage einer in Spanien lebenden Deutschen, die eine Assessorin suchte, die ihre Unterlagen auf Spanisch lesen könnte. Das machte mich neugierig und ich erinnerte mich an meine Spanischkenntnisse, die irgendwo in meinem Hinterkopf schlummerten. Beim Probelesen stellte ich erfreut fest, dass ich genug verstand und sagt ihr zu, sie als Kandidatin im Rahmen meines deutschen Teams zu begleiten.
Dann, kurz danach, wie wenn das Universum die offene Tür nutzen wollte, kam im Verteiler des internationalen AssessorInnen-Teams die Anfrage, ob es eine AssessorIn gäbe, die Spanisch könne, für all die Zertifizierungs-Interessierten die kein Englisch oder Französisch sprechen. Ich zögerte, denn das war ja nun nochmal eine andere Nummer. Doch niemand sonst meldete sich. In mir blubberte meine Lust auf neue Aufgaben, meine Freude am Lernen und Beitragen, meine Neugier auf die spanische Art der GFK und meine Freude daran, Menschen bei ihrem Wachstum zu begleiten. Also sagte ich zu, diese Aufgabe zu übernehmen.
Damit begann eine intensive, lebendige, herausfordernde und arbeitsreiche Zeit, in der ich mit den vier (!) spanischen CNVC-Trainerinnen in Kontakt ging, 17 spanische KandidatInnen aufnahm, ihre Unterlagen las, Videos anschaute, viele Gespräche per Skype führte, unzählige Emails in Spanisch schrieb, ins Zweifeln geriet und manchmal an den Rand der Verzweiflung kam – und immer wieder VIEL Unterstützung bekam, von den unterschiedlichsten Leuten, oft ganz überraschend und wenn ich mich dringend danach sehnte: beim Übersetzen, beim Organisieren, durch Kontakt und Information, mit Wohlwollen, Geduld und Freude am Beitragen …
Und nun, 2017, ist das große Jahr, in dem ich nach Spanien gereist bin, um in die spanische GFK-Gemeinschaft einzutauchen, meine KandidatInnen persönlich kennen zu lernen und mit 9 KandidatInnen ihren Zertifizierungsprozess abzuschließen. Und das immer noch mit eingeschränkten Spanischkenntnissen – eindeutig ein großer Sprung aus meiner Komfortzone …
Juli 2017: Pre-Assessments in Barcelona
Mein Einstieg in Spanien war in Barcelona, wo ich in sechs Preassessment-Treffen mit den KandidatInnen den geplanten Abschluss ihres Zertifizierungsprozesses vorbereitet habe. Barcelona: die quirlige, aufregende, lebendige und volle Stadt. Und so war auch meine Zeit dort:
- … quirlig dank Ansara, der Spanierin, die mit mir mit viel Lachen in einem wilden Englisch-Spanisch-Gemisch radegebrecht, mich liebevoll umsorgt und an alle möglichen Plätze Barcelonas geführt hat.
- … lebendig dank der vielen Begegnungen und Gespräche mit GFK-Enthusiasten in Barcelona. Aufregend, da ich noch nie so Pre-Assessments gemacht hatte: in einer fremden Sprache; mit Unterstützung und englisch-spanischer Übersetzung durch Constanza, einer spanischen CNVC-Trainerin aus Barcelona, die ich vorher nur aus einem Skype-Gespräch kannte, nachdem sie sich spontan bereit erklärt hatte, mir bei den Preassessments zur Seite zu stehen; mit KandidatInnen, von denen ich die meisten nur aus Emails und ihren Unterlagen kannte, in denen ich aber natürlich oft schon intime und tiefe Prozesse gelesen hatte.
- … voll, weil all das in vier Tagen passierte – ein Bad im Meer und ein Besuch auf einem Blues-Festival inklusive.
Und es ist gelungen, und so bin ich nach vier Tagen zufrieden, müde und angefüllt mit Eindrücken und Verbindungen im Herzen weitergefahren zum „Festival de verano“ in den Sierras nördlich von Madrid. Dazu gibt es hier einen eigenen Blogartikel.
September 2017: Assessmenttage
Knapp sechs Wochen später war ich wieder in Spanien, um im Team mit fünf anderen Trainerinnen zehn spanische Kandidatinnen zum Abschluss ihres Zertifizierungsprozesses zu begleiten und weiteren sechs KandidatInnen ein Mentoring mit Einblick in den Ablauf von Assessmenttagen zu ermöglichen.
Deborah Bellamy und ich waren als Assessorinnen im Team. Deborah hat die ganzen Tage immer wieder darüber gescherzt, wie sie, ohne Spanisch zu können, auf den ersten spanischen Assessmenttagen gelandet ist, nämlich als “Erbe” ihrer Assessorinkollegin Vicky Pierce, die ihre spanische Kandidatin an Deborah übergeben hatte, als sie ihre Assessor-Tätigkeit beendete. Ich war jedenfalls glücklich, Deborah dabei zu haben, da sie aus ihrer Tätigkeit im europäisch-englischen Assessorinnentem viel Erfahrung damit hat, mit KandidatInnen ins Assessment zu gehen, die sie vorher kaum persönlich gesehen hat. Das kenne ich aus meiner Assessortätigkeit hier ja gar nicht – zum Glück, der persönliche Kontakt hat mir in den vorangegangenen Jahren mit meinen spanischen KandidatInnen oft sehr gefehlt. Daher war und ist mein Bild auch, nur solange als Brücke zu dienen, bis sich dann ein spanisches oder spanisch-sprachiges Assessor-Team gebildet hat. Meine Wunsch nach Unterstützung und gegenseitiger kreativer Befruchtung mit Deborah ging voll auf: unsere Zusammenarbeit war voller Leichtigkeit und bereichert durch unsere jeweilige Erfahrung und das Wissen aus unseren Teams. Ausrichtung war für uns dabei, wie sonst bei den Assessments auch, im Partnership-Paradigma und mit “Macht mit” mit allen Teilnehmenden zusammenzuarbeiten und für die AssessmentkandidatInnen zu einem gegenseitigen Einverständnis zu kommen, dass sie die GFK mit der Integrität und Bewusstheit teilen und leben, wie wir uns es für CNVC-zertifizierte Trainerinnen und Trainer wünschen. Dazu gehört auch, eine Atmosphäre zu schaffen, in der alle Anwesenden inkl. uns Assessorinnen die Möglichkeit finden, über ihre bisherige Komfortzone hinauszugehen, um zu lernen und sich weiterzuentwickeln.
Um die Assessmenttage möglichst gut in die spanische GFK-Gemeinschaft einzubetten und in Verbindung mit den bisherigen CNVC-Trainerinnen zu starten, hatte ich zwei der vier spanischen zertifizierten Trainerinnen mit ins Team eingeladen. Amalasiri Murcia und Constanza Echevarría aus Barcelona hatten viele der KandidatInnen als Trainerinnen ausgebildet und brachten damit ihre längerfristige Erfahrung mit ein. Auch die KandidatInnen erlebten es als sehr wertvoll und ein klares Zeichen von Gemeinschaft und Willkommen-Sein, dass sie bei ihrer Zertifizierung Zeuginnen waren und diesen Schritt mit ihrem Feedback unterstützten.
Und natürlich brauchten wir, damit die Tage überhaupt so stattfinden konnten, Übersetzerinnen. Und wir hatten mit Marianne Boos-Czinglar aus Wien und Sylvie Hörning aus Basel nicht nur Übersetzerinnen, die Englisch (da Deborah sich damit wohler fühlte) und Deutsch (für meine Leichtigkeit) wunderbar ins Spanische und wieder zurück übersetzten, sondern auch zwei langjährige CNVC-Trainerinnen, die als Unterstützerinnen in verschiedenen Assessoren-Teams mitarbeiten. So haben die beide neben der Übersetzung noch viel mehr beigetragen und Deborah und mich wunderbar unterstützt. Ganz besonders habe ich ihre Gelassenheit und die humorvollen Momente in Erinnerung, wenn wir immer wieder mal die Sprachen durcheinander geschmissen haben oder die Beiträge der Spanier schneller und schneller wurden.
Auf der Seite der KandidatInnen hatten wir die außergewöhnliche Situation, dass zehn (!) von ihnen für ihr Assessment da waren, für das erste Assessment in Spanien, auf heimischem Boden und in ihrer eigenen Sprache, im Kreis von heimischen KollegInnen, und sich damit die Zahl der zertifizierten TrainerInnen um 250% erhöhen würde. Allen war bewusst, dass das eine Auswirkung auf die spanische GFK-Gemeinschaft hatte und somit war das Thema Gemeinschaft und der Umgang mit den damit zusammenhängenden Themen wie Zusammenarbeit, Feedback, Konkurrenz usw. sehr präsent. Besonders geschätzt habe ich, dass drei aktuelle Konflikte angesprochen wurden und mit Unterstützung von anderen KandidatInnen die Klärung angegangen wurde. Ein schönes Zeichen fand ich auch, dass die anwesenden MentoringkandidatInnen mit Freude am Beitragen die Assessments ihrer KollegInnen durch Moderation, Feedbacks und die flexible Planung der Präsentationen unterstützten. Ein besonders aufregender und berührender Moment war das Ritual, in dem die KandidatInnen sich selbst für die Zertifizierung empfohlen und wir Assessorinnen und alle anderen Anwesenden ihr Einverständnis damit ausgedrückt haben. Auch da sind zwei den herausfordernden Schritt aus ihrer Komfortzone gegangen und haben ihre Bedenken ausgedrückt und eine Klärung eingeleitet.
Mit einem Ausblick auf die nächsten Schritte im eigenen Entwicklungsprozess gingen diese ersten spanischen Assessmenttage dann am nächsten Tag zu Ende. Unser Rückweg nach Barcelona war für mich nochmal wie ein Abbild der Tage: ein aufregender, manchmal ruckeliger Weg in Gemeinschaft, mit umfahrenen oder überwundenen Schlaglöchern, mit Aufregung, Lachen und Verbindung, und vielen schönen und bewegenden Ausblicken inklusive einer Fahrt durch einen Fluss … und auf der anderen Seite geht das Leben weiter und wir nehmen die Veränderung mit uns. In mir hat sich auf jeden Fall viel verändert, ich bin um viele schöne und herausfordernde Erfahrungen reicher und freue mich auf meine nächste Zeit in Spanien – die nächsten KandidatInnen warten schon …