Strukturelle Gewalt

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Das Thema der strukturellen Gewalt ist derzeit in der GFK-Szene aber auch im gesamten gesellschaftlichen Kontext sehr aktuell und in der Diskussion.

In der GFK-Szene gehen wir schon länger sehr bewusst mit den Themen Macht und Gewalt um und suchen immer wieder neue Wege und Umgangsweisen, im persönlichen und auch im sozialen Kontext. Gerade für das Thema des sozialen Wandels ist der Begriff wichtig, einem Thema, das dem Begründer der GFK, Dr. Marshall Rosenberg, am meisten am Herzen lag.

Gesellschaftlich sind wir mit den Corona-Bestimmungen derzeit fast täglich neu mit dem Thema von struktureller Gewalt konfrontiert. Und je nach Persönlichkeit und eigenen Mustern und Themen lädt es uns eher ein zu rebellischem Widerstand, unterwerfendem Gehorsam oder – eher selten – zu einem bewusstem Umgang und bewusster Entscheidung auf Basis unserer Werte und Bedürfnisse und mit Blick auf das große Ganze.

Aus der Sicht der GFK ist „strukturelle Gewalt“ ein „Label“, ein Etikett, das wir bestimmten Sachverhalten und bestimmten Verhaltensweisen beteiligter Menschen geben. In der GFK sind wir uns dessen bewusst, dass ein Etikett die Gefahr birgt, dass es uns von uns selber und von anderen Menschen trennt und dazu verleiten kann, andere Menschen an sich und nicht ihre Handlungen zu verurteilen und als „schlecht“ einzustufen. Kurz gesagt, aus der Sicht der GFK fördert ein Label Gewalt. In konkreten Situationen ist es daher wichtig, klar zu benennen, auf welchen Handlungen und Aussagen wir uns beziehen, wenn wir von struktureller Gewalt sprechen. Was ist unsere genaue Beobachtung? Was habe ich oder andere gesagt / getan? Dies bringt den Begriff auf den Boden, macht ihn handhabbar und eine Verständigung erst möglich.

Wichtig finde ich als solide Basis für Gespräche und die eigene Auseinandersetzung, den Begriff der strukturellen Gewalt zu definieren. Denn wenn wir gar nicht wissen, worüber genau wir mit dem Begriff reden, für was wir ihn als Shortcut, als Abkürzung, verwenden, bzw. jede*r den Begriff ganz anders für sich definiert und nutzt, wird er gerne als Vorwurf benutzt und/oder verstanden und macht eine Verständigung und einen konstruktiven Umgang schwierig.

Der Friedensforscher Johan Galtung hat 1971 den Begriff eingeführt und wie folgt definiert:

„Strukturelle Gewalt ist die vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse oder, allgemeiner ausgedrückt, des Lebens, die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das herabsetzt, was potentiell möglich ist.“ (Wikipedia).

Wikipedia schreibt in dem Artikel über strukturelle Gewalt weiter:

„Diesem erweiterten Gewaltbegriff zufolge ist das Zurückbleiben der aktuellen Selbstverwirklichung hinter der in einer Gesellschaft möglichen Selbstverwirklichung eine Form von Gewalt.

Unter Strukturelle Gewalt fallen alle Formen der Diskriminierung, die ungleiche Verteilung von Einkommen, Bildungschancen und Lebenserwartungen, sowie das Wohlstandsgefälle zwischen der ersten und der Dritten Welt. Auch eingeschränkte Lebenschancen auf Grund von Umweltverschmutzung oder die Behinderung emanzipatorischer Bestrebungen werden hierunter subsumiert.

Gewalt kann in dieser umfassenden Definition, die allein die Effekte benennt, nicht mehr konkreten, personalen Akteuren zugerechnet werden.[2] Sie basiere nurmehr auf Strukturen einer bestehenden Gesellschaftsformation, insbesondere auf gesellschaftlichen Strukturen wie Werten, Normen, Institutionen oder Diskursen sowie Macht­verhältnissen.

Diese Begriffsbestimmung verzichtet auf die Voraussetzung, dass, um von Gewalt sprechen zu können, eine Person oder Gruppe subjektiv Gewalt empfinden muss. Strukturelle Gewalt werde von den Opfern oft nicht einmal wahrgenommen, da die eingeschränkten Lebensnormen bereits internalisiert seien.“

Die strukturelle Gewalt sieht Johan Galtung als Teil des interdependenten Gewaltdreiecks, auf das ich im nächsten Post eingehen werde.

Wir haben unsere letzten Mentoringtage im Zertifizerungsprozeß im November 2020 der gemeinsamen Erforschung und Arbeit mit dem Thema gewidmet und dabei die Teilnehmenden vorab zur Reflexion des Themas eingeladen. Eine der Fragen war „Was verstehe ich unter struktureller Gewalt?“ Dies ist ein Auszug aus dem Ergebnis, das wir auf den Tagen auf einer Flip gesammelt haben:

 

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